Auch mitten im Sommer, ist diese Geschichte schön!

Der Liebe Gott zu Rosenheim

"Advent" bedeutet die Vorbereitung auf das Fest der Geburt des Herrn. Diese Wochen zählen zu den feierlichsten, innigsten Zeiten des Kirchenjahres. Da wächst in vielen guten Menschen in Stadt und Land der Gedanke, anderen eine Freude zu machen.

Eine alte Rentnerin aus dem Inntal, hätte auch gerne ein bisserl Weihnachtsfreude verschenken wollen. Aber ihre kärgliche Barschaft reichte dazu beim besten Willen nicht aus. In ihrer Zwangslage wandte sich die Achtigjährige direkt an den Himmelvater. Mit einem mühsam geschriebenen Brieflein, schilderte sie ihm kurz, ihren dringenden Wunsch:

Sie täte halt gar zu gerne auch einmal auf Weihnachten, jemand anderem eine kleine Freude machen. "Aber", so meinte sie, "mein bisserl Altersgeld langt dazu hint und vorne nicht. Wenn einer heutzutage eine Tasse Kaffee und ein Stückerl Kuchen haben möcht, muß sie ja schon so viel Geld hinblättern, wie ich in meiner Jugend als Magd, für die ganze Woche Arbeit, als Lohn bekommen hab. "Da denk ich mir", so schrieb die Bittstellerin, "Du, unser Herrgott, der doch alles recht macht, Du  könntest mir vielleicht einen Hundermarkschein schicken, dann wäre mir richtig geholfen".

Nachdem sie noch "unterthänigst" (mit th) gedankt und unterschrieben hatte, steckte sie das Brieflein in ein Kuvert und schrieb außen auf den Umschlag einfach: "An den Lieben Gott". Aber dann kamen ihr plötzlich doch Zweifel, ob der Postbote den Brief wirklich zustellen könnte. Sie wußte aber, daß in der großen Stadt Rosenheim sehr viele Ämter waren, mit den gstudierten Leuten. Die kannten bestimmt den richtigen, weiteren Weg, und deshalb schrieb sie noch zur Adresse: "Amt Rosenheim".

Der Postsortierer in Rosenheim stockte in seiner Verteilerarbeit. "Amt Rosenheim" war ungenau! Weil er aber gerade mehrere Sendungen mit der Anschrift "Finanzamt Rosenheim" verteilt hatte, schrieb er hier auch kurz entschlossen den Zusatz "Finanz" vor "Amt" und schickte die Sendung auf den weiteren Weg.

Selbiger Brief, bei der genannten Behörde angekommen, erreigte zuerst Unverständnis und dann Heiterkeit, und der für den Posteinlauf im Amt Zuständige, ließ seiner Schalkhaftigkeit freien Lauf. Als er es sich lachend überlegte, was er da gelesen hatte: "An den Lieben Gott, Finanzamt Rosenheim", haute er schnell noch den Stempel drauf: "Chefsache!"

Also gelangte das vorweihnachtliche Schreiben der alten Frau, an den obersten Leiter des Finanzamtes. Der runzelte zwar die Stirne beim Überfliegen der skurrilen Anschrift und witterte eine anonyme Unverschämtheit. Als er aber den Absendernamen enträtselte, den Inhalt flüchtig gelesen und die krakelige Handschrift betrachtet hatte, kam er zu der ernsten Ansicht, dass hier ein alter, einfältiger Mensch aus echter Herzensnot geschrieben habe.

Und weil er kein hartherziger Bürokrat war, und weil eben gerade Advent ist, blitzte bei ihm der Gedanke auf, hier einmal zu helfen.

Also besprach er die Angelegenheit mit seiner Sekretärin, wie  man der guten Frau antworten sollte. Die Befragte schlug vor, im Amt einfach zu sammeln. Wenn jeder einige Groschen opferte, kämen doch leicht ein paar Mark zusammen, die man der Bittstellerin dann schicken könnte. Und sehe da, am Schluß brachte die Angestellte fröhlich siebzig Mark zurück, zur Chefsekräterin.

Diese schickte nun die siebzig Mark, in einem Briefumschlag des Finanzamtes Rosenheim weiter, an die greise Bittstellerin, mit der Kurznotiz :

"Einen schönen Gruß vom Lieben Gott."

Wenige Tage später traf das Dankschreiben ein: "An den Lieben Gott, Finanzamt Rosenheim." Der Chef des Hauses öffnete diesmal mit Schmunzeln, den krakelig beschrifteten Umschlag und las:

"Lieber Gott! Ich dank Dir halt von ganzem Herzen, dass Du meine Bitte so schnell erhört hast. Aber bittschön, gell, wenn Du mir wieder einmal einen Hunderter schickst, dann bloß nicht über das Finanzamt Rosenheim. Die haben mir nämlich gleich dreißig Mark abgezogen und für sich behalten, die Halsabschneider!"